Was ist eine systemische Paar-, Beziehungs- und Familientherapie?

Die systemische Paar-, Beziehungs- und Familientherapie ist ein therapeutischer Ansatz, der Menschen nicht isoliert betrachtet, sondern immer im Kontext ihrer Beziehungen und sozialen Systeme. Hier steht nicht das Individuum im Fokus, sondern der Fokus liegt auf dem gesamten Beziehungssystem (Familie, Schule, Arbeit, …).

Klassische Therapieformen dagegen, wie z. B. die Psychoanalyse oder die Verhaltenstherapie, konzentrieren sich auf individuelle “Störungen” oder arbeiten negative Kindheitserfahrungen auf, um Veränderungen beim Klienten herbeizuführen. 

Der Grundgedanke: Der Mensch agiert als Teil eines sozialen Systems

Die Systemtheorie bildet das theoretische Fundament dieser Therapieform. Sie geht davon aus, dass jeder Mensch Teil verschiedener Systeme ist – Familie, Partnerschaft, Freundeskreis, Arbeitsplatz – und dass diese Systeme durch komplexe Wechselwirkungen geprägt sind. 

Auftretende Spannungen, Konflikte und Krisen entstehen demnach durch ungünstige Muster in diesen Beziehungsgeflechten. Anstatt zu fragen “Was ist mit dieser Person falsch?”, lautet die systemische Frage

“Welche Muster im System tragen zu den aktuellen Schwierigkeiten bei?” 

Diese Perspektive will keine Schuldfrage klären, sondern Lösungspotentiale im gesamten System finden und aktivieren.

Vielseitige Anwendungsmöglichkeiten

Besonders in der Paar- und Familientherapie kommt der systemische Ansatz seit vielen Jahrzehnten erfolgreich zum Einsatz. Kommunikationsprobleme in einer Beziehung oder Erziehungsfragen können dadurch oft schon nach wenigen Sitzungen aus der Welt geschafft werden. 

Eine systemische Beziehungstherapie kann aber auch jederzeit von Einzelpersonen in Anspruch genommen werden, die an ihren Beziehungsmustern arbeiten möchten, auch ohne Beteiligung anderer Familienmitglieder. 

Beispiele dafür sind: 

  • Beziehungsmuster verstehen: Warum gerate ich immer an den falschen Mann? Warum scheitern meine Beziehungen immer?
  • eine Trennung bewältigen und verarbeiten
  • Tod des Partners verarbeiten 
  • Entscheidungskonflikte: Aus einer konflikthaften Beziehung gehen oder gemeinsam versuchen, die Beziehung zu retten?
  • Schwierige Familiendynamiken: z. B. mit der Schwiegermutter
  • Umgang mit Einsamkeit: z. B. Bindungsängste überwinden
  • Belastung durch den (z. B. depressiven) Partner

Diese Flexibilität macht den systemischen Ansatz besonders praktikabel für verschiedene Lebenssituationen und therapeutische Bedarfe.

Grundprinzipien und Methoden der systemischen Paar-, Beziehungs- und Familientherapie?

Die Grundprinzipien der systemischen Paar-, Beziehungs- und Familientherapie basieren auf dem Ansatz, dass Probleme und Symptome oft Ausdruck der Dynamiken innerhalb eines Systems sind. 

In dem vorliegenden Fall geht es speziell um das System ”Familie”, “Paar” oder um das soziale Gefüge einer Einzelperson. 

Die systemische Therapie von Familien, Paaren oder Einzelpersonen zielt darauf ab, Veränderungen in der Kommunikation und Interaktion innerhalb dieses Systems zu fördern, um das Wohlbefinden jedes Einzelnen im System zu verbessern.Es ist vor allem ein kommunikativer, sinnstiftender Dialog, der sich auf mehrere Schlüsselkonzepte stützt:

Die 3 Schlüsselkonzepte der systemischen Therapie optisch dargestellt: Ganzheitlichkeit, Interaktion&Kommunikation, Veränderung durch neue Perspektiven

Wie sich die systemische Therapie von anderen, konventionellen Therapieformen unterscheidet, lesen Sie in unserem Ratgeber “Grundlagen der systemischen Therapie”.

Zentrale systemische Prinzipien

  • Kommunikationstheorie: Systemische Paar-, Familien- und Beziehungstherapeuten analysieren nicht nur das gesprochene Wort, sondern auch nonverbale Signale und die zugrundeliegenden Kommunikationsmuster.
  • Der Konstruktivismus geht davon aus, dass jeder Mensch seine eigene Realität konstruiert. Es gibt nicht die eine “objektive Wahrheit”, sondern verschiedene Sichtweisen auf dieselbe Situation. 
  • Zirkularität: Anstatt nach linearen Ursache-Wirkungs-Ketten zu suchen (“A hat B verursacht”), betrachtet die systemische Therapie die gegenseitigen Einflüsse: Wie verstärken sich bestimmte Verhaltensmuster gegenseitig? Wie entstehen Teufelskreise – und wie können sie durchbrochen werden?
  • Mehrperspektivität bedeutet, dass verschiedene Standpunkte gleichzeitig existieren können, ohne dass einer “richtig” oder “falsch” ist. Diese Haltung ermöglicht es, festgefahrene Konflikte aufzulösen und neue Lösungswege zu finden.

Bewährte Tools und Methoden

  • Das Genogramm ist eine Art Familienstammbaum, der nicht nur Verwandtschaftsbeziehungen, sondern auch emotionale Verbindungen, Konflikte und Muster über Generationen hinweg visualisiert. Es hilft dabei, wiederkehrende Familienthemen zu erkennen und zu verstehen.
  • Systemaufstellungen machen Beziehungsdynamiken sichtbar und erlebbar. Dabei werden Familienmitglieder oder stellvertretende Personen im Raum positioniert, um die emotionalen Distanzen und Verbindungen zu verdeutlichen. Diese Methode ermöglicht oft überraschende Einsichten.
  • Lösungsorientierte Gesprächsführung konzentriert sich auf Ressourcen und Potentiale statt auf Defizite. Fragen wie “Wann funktioniert es bereits gut?” oder “Was wäre anders, wenn das Problem gelöst wäre?” lenken den Blick auf konstruktive Möglichkeiten.
  • Reflecting Teams nutzen die Kraft der Außenperspektive. Die systemische Familientherapeutin spricht vor der Familie über deren Situation und bietet verschiedene Sichtweisen an, ohne direkten Rat zu geben. Dies regt zur Selbstreflexion an und eröffnet neue Denkräume.

Die systemische Haltung der Therapeutin

Illustration: Mann im Sessel, Text zu Haltungen von Paar- und Familientherapeuten.

Für wen ist die systemische Therapie geeignet?

Paare in herausfordernden Situationen

Paare mit Konflikten profitieren besonders von der systemischen Herangehensweise. Statt nach Schuldigen zu suchen, werden die Kommunikationsmuster analysiert und neue Wege des Miteinanders entwickelt. Häufige Themen sind:

  • Wiederkehrende Streitereien über scheinbar banale Themen
  • Gefühle der Entfremdung und des Nicht-Verstanden-Werdens
  • Unterschiedliche Vorstellungen von Nähe und Distanz
  • Konflikte um Haushaltsführung, Kindererziehung oder Finanzen
  • Überwinden einer Affäre
  • unterschiedliche Bedürfnisse in der Sexualität
  • Veränderung der Lebensumstände (z. B. Ruhestand)
  • Verarbeitung eines Kindstodes (z. B. Sternenkind)
Paar streitet sich auf dem Sofa, beide wirken emotional und reden gestikulierend miteinander.

Bei Trennungsgedanken kann die systemische Therapie helfen, Klarheit zu gewinnen. Manchmal führt sie zur Versöhnung, manchmal zu einer respektvollen Trennung – zumeist aber zu mehr Verständnis füreinander.

Kommunikationsprobleme sind oft der Ausgangspunkt für tieferliegende Beziehungsthemen. Die systemische Therapie vermittelt nicht nur Gesprächstechniken, sondern hilft dabei, die emotionalen Bedürfnisse hinter den Worten zu verstehen.

Familien in verschiedenen Lebensphasen

Familien mit wiederkehrenden Krisen finden in der systemischen Therapie Unterstützung, um aus destruktiven Mustern auszubrechen. Besonders hilfreich ist der Ansatz bei:

  • Patchwork-Herausforderungen: Wenn verschiedene Familiensysteme zusammenfinden, entstehen oft komplexe Loyalitätskonflikte und Rollenunsicherheiten.
  • Jugendliche mit Verhaltensproblemen: Statt das Verhalten eines Jugendlichen zu pathologisieren, wird das gesamte Familiensystem betrachtet.
  • Schwierigkeiten bei Übergängen (Geburt, Einschulung, Pubertät, Auszug der Kinder, …)
Ein Mann und zwei Kinder wirken nachdenklich, eine Frau im Hintergrund hält ein weiteres Kind.

Weitere Beispiele:

  • Umgang mit Behinderung in der Familie
  • Erziehungsfragen (z. B. bei Generationskonflikten)
  • Psychische Erkrankung eines Kindes (z. B. Drogensucht)
  • Trennung / Scheidung der Eltern

Einzelpersonen mit Beziehungsthemen

Auch Einzelpersonen profitieren von der systemischen Arbeitsweise, wenn sie an ihren Beziehungsmustern arbeiten möchten:

  • Herkunftsfamilien-Konflikte: Schwierige Beziehungen zu Eltern oder Geschwistern
  • Rollenkonflikte: Schwierigkeiten zwischen beruflichen und privaten Anforderungen
  • Wiederkehrende Probleme in verschiedenen Beziehungen
Ältere Frau sitzt nachdenklich am Tisch und blickt aus dem Fenster, die Hände am Mund.

Tipp: Der richtige Zeitpunkt für professionelle Hilfe

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen? 

Diese Frage beschäftigt viele Menschen. Grundsätzlich gilt: Je früher, desto besser. Sie müssen nicht warten, bis eine Situation eskaliert ist.

Anzeichen, die für eine systemische Beratung sprechen:

  • Sie haben das Gefühl, im Kreis zu laufen.
  • Gespräche führen immer wieder zu denselben Konflikten.
  • Sie fühlen sich unverstanden oder isoliert.
  • Kinder zeigen Verhaltensauffälligkeiten.
  • Sie wünschen sich Veränderung, wissen aber nicht, wie sie diese allein bewerkstelligen können. 

Fallbeispiele

  • Familie Müller: Die 14-jährige Tochter schwänzt regelmäßig die Schule. Die Eltern sind verzweifelt und streiten sich über die “richtige” Reaktion. In der systemischen Therapie stellt sich heraus, dass die Tochter unbewusst versucht, ihre Eltern zusammenzubringen, die kurz vor der Trennung stehen. Durch die systemische Arbeit können die Eltern ihre Paarkonflikte von der Elternrolle trennen und der Tochter die Verantwortung für die Beziehung der Eltern abnehmen.
  • Ehepaar Schmidt: Nach 15 Jahren Ehe haben sie sich “nichts mehr zu sagen”. Jeder geht seinen eigenen Weg. Die systemische Paartherapie hilft ihnen zu verstehen, dass ihre scheinbare Gleichgültigkeit ein Schutz vor Verletzungen ist. Sie lernen wieder, ihre Bedürfnisse zu äußern und Nähe zuzulassen.

Ablauf einer systemischen Paar-, Familien- oder Beziehungstherapie

Der Ablauf einer systemischen Therapie unterscheidet sich je nach spezifischem Kontext und den Bedürfnissen der beteiligten Personen. Aber es gibt allgemeine Phasen, die in den meisten systemischen Therapieprozessen erkennbar sind. 

Abbildung, auf der ein Mann eine Treppe hochgeht. Sinnbildlich für den Weg der systemischen Therapie, angefangen beim Erstgespräch bis zum Abschluß.

In unserem Ratgeber “Grundlagen der systemischen Therapie” erfahren Sie weitere Details zu den einzelnen Phasen des Therapieprozesses.  

Die Arbeitsweise eines systemischen Therapeuten

Die Arbeitsweise des systemischen Paar-, Familien- und Beziehungstherapeuten unterscheidet sich grundlegend von der eines traditionellen Therapeuten (z. B. psychoanalytischer Psychotherapeut). 

Begleiter statt Vorreiter

Ein systemischer Therapeut versteht sich nicht als Experte für Lösungen, sondern als Begleiter im Prozess. Er oder sie bringt keine vorgefertigten Antworten mit, sondern hilft den Klientinnen dabei, ihre eigenen Lösungen zu entwickeln. 

Konkret bedeutet das:

  • Der Therapeut stellt die richtigen Fragen, anstatt Antworten zu geben.
  • Er schafft einen Rahmen, in dem neue Perspektiven entstehen können.
  • Er moderiert den Prozess, ohne die Richtung vorzugeben.
  • Er vertraut auf die Selbstheilungskräfte des Systems.

Förderung von Selbstreflexion und Selbstwirksamkeit

Die Klienten sollen nicht abhängig von therapeutischer Hilfe werden, sondern ihre eigenen Kompetenzen (wieder) entdecken, stärken und langfristig einsetzen.

Damit dies gelingt, nutzen systemische Therapeuten verschiedene Techniken, wie z. B. zirkuläre oder hypothetische Fragen

Diese Fragetechniken regen zum Nachdenken an und helfen dabei, neue Sichtweisen zu entwickeln, ohne dass der Therapeut konkrete Ratschläge gibt. 

Bedeutung von Supervision und Selbstarbeit

Auch wenn der systemische Therapeut der “Fachmann” für die Prozesssteuerung in der Therapie von Klienten ist, so spielt die Supervision und Selbstarbeit auch für ihn eine große Rolle. Er muss sein eigenes Verhalten und seine Reaktionen in der therapeutischen Arbeit regelmäßig reflektieren.

Warum ist das so wichtig?

  • Eigene blinde Flecken erkennen: Jeder Therapeut hat persönliche Themen, die die Arbeit beeinflussen können.
  • Qualitätssicherung: Eine regelmäßige Supervision gewährleistet hohe therapeutische Standards.
  • Burnout-Prävention: Die Arbeit mit belasteten Familien erfordert emotionale Stabilität.
  • Kontinuierliche Weiterentwicklung: Die therapeutische Haltung und Kompetenz werden ständig verfeinert.

Diese professionelle Selbstreflexion ist ein Qualitätsmerkmal seriöser systemischer Arbeit und unterscheidet ausgebildete Therapeuten von Laienberatern.

Tipp: So finden Sie die richtige Therapeutin

Damit der Therapieprozess so effektiv und unterstützend wie möglich gestaltet werden kann, sollte die Wahl der systemischen Therapeutin gut getroffen werden. In unserem Ratgeber “Grundlagen der systemischen Therapie” erfahren Sie, welche Eigenschaften eine gute Therapeutin mit sich bringen sollte, damit eine konstruktive Zusammenarbeit möglich ist. 

Systemischer Paar-, Familien- und Beziehungstherapeut als Beruf: Ausbildung und Berufsfeld

Ausbildungsmöglichkeiten am HISL

Für Menschen, die sich für eine berufliche Laufbahn in der systemischen Therapie interessieren, bietet das Hamburger Institut für systemische Lösungen (HISL) zwei Ausbildungswege:

Inhalte und berufliche Möglichkeiten

Die Ausbildungen am HISL zeichnen sich durch ihren hohen Praxisanteil aus. Sie sind  berufsbegleitend organisiert und ermöglichen es, das Erlernte direkt in der eigenen Berufspraxis anzuwenden. Dies schafft eine ideale Kombination aus Theorie und Praxis.

Die Inhalte umfassen unter anderem:

  • Grundlagen des systemischen Denkens und Handelns
  • Dynamik und Verlauf von Beratungsprozessen
  • Lösungs- und Ressourcenorientierung in der Beratung/Therapie
  • Psychologische und soziale Grundlagen
  • Einführung in weitere beraterische und therapeutischen Methoden und Ansätze

Die beruflichen Möglichkeiten sind vielfältig:

  • Selbstständige Praxis als Berater oder Therapeut
  • Anstellung in Beratungsstellen, Jugendhilfe oder Familienberatung
  • Tätigkeit in Kliniken, Reha-Einrichtungen oder sozialen Diensten
  • Coaching und Supervision in Unternehmen
  • Weiterbildung und Lehrtätigkeit

Zielgruppen der Ausbildung

Unsere Weiterbildung vermittelt umfangreiche professionelle Fähigkeiten für

  • Menschen aus psychologischen, sozialen, heilenden und helfenden Berufen
  • Menschen, die in Organisationen und Firmen mit Führungs- und/oder Projektaufgaben betraut sind.
  • Quereinsteiger aus anderen Berufen mit Erfahrungen in den o. g. Arbeitsfeldern
  • Berater oder Helfer, die ihre beraterische Tätigkeit im selbständigen Rahmen oder institutionellen Kontext durchführen bzw. in enger Verbindung mit Institutionen / Firmen arbeiten, z. B. Kindergärten, Schulen, Beratungsstellen, Kirchen, Kliniken, Einrichtungen der Jugend- und Familienhilfe.
  • Menschen, die Interesse an einer systemisch breit fundierten Selbstständigkeit in eigener Praxis haben

Gehalt

Das Gehalt eines systemischen Paar-, Familien- und Beziehungstherapeuten kann je nach Erfahrung, Arbeitsort und Branche variieren. Generell haben systemische Therapeuten, die sich auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert haben, höhere Verdienstmöglichkeiten.

Beispielhaft haben wir hier das Gehalt eines systemischen Familientherapeuten in Deutschland aufgeführt:

Gehalt für Familientherapeut/in
in Deutschland

* Wir bemühen uns um eine genderbewusste Sprache. Es ist uns ein Herzensanliegen und eine Selbstverständlichkeit, die Gleichstellung und Gleichwertigkeit aller Menschen jenseits ihres Geschlechtes zu achten und zu würdigen. Eine gendergerechte Sprache fördert die dafür wichtige Bewusstseinsbildung. Gleichzeitig ist uns eine nicht umständliche und verständliche Sprache wichtig. Deshalb nehmen wir uns im Dienste einer guten Lesbarkeit die Freiheit, mal generisch maskuline Bezeichnungsformen und mal generisch feminine Bezeichnungsformen zu verwenden, ohne eine zwanghafte Disziplin und ohne „demr Leserin“ Stolperkonstruktionen zuzumuten.